CLIPS

KünstlerInnen werben für sich und ihre Arbeit

bisherige Ausstellungsorte:

Kunstverein Tiergarten | Galerie Nord
Turmstraße 75 EG
10551 Berlin
www.kunstverein-tiergarten.de
23. März - 28. April 2007

Galerie Histoire de l’Oeil Marseille, France
28. Nov. - 15. Dez. 2007

Im Herbst 2006 starteten die Berliner Künstlerin Barbara Ueber, der Österreicher
Herbert Christian Stöger und der Kunstverein Tiergarten einen Aufruf an Bildende
Künstlerinnen und Künstler, für die Ausstellung "Clips" einen kurzen Werbefilm über
sich und die eigene Arbeit zu entwickeln. In der pointierten Form von 20-sekündigen
Clips - wie man sie aus den Vorabendprogrammen der heimischen Flimmerkiste
kennt - sollen diese Beiträge nicht nur der Präsentation der eigenen Arbeit, sondern
auch der künstlerischen Reflexion über das schwierige Verhältnis zwischen Kunst
und Werbung, über Künstlermythen und die Hybris der modernen Kommunikations-
gesellschaft dienen.
Über 40 internationale KünstlerInnen sind dem Aufruf gefolgt und haben sich der
Herausforderung gestellt, von sich bzw. ihrer eigenen künstlerischen Arbeit einen
solchen Werbeclip herzustellen. In den zurückliegenden Wochen sind die
unterschiedlichsten Formate aus aller Welt eingegangen und offenbaren ein
vielfältiges und abwechslungsreiches Bild zeitgenössischen Künstlerselbst-
verständnisses. Es entstanden unterschiedlichste Videoarbeiten, in denen die
Eingeladenen sowohl kritisch mit den Bildstrategien der Werbung spielen als
sich ebenso selbstbewußt ins Bild setzen und weiter am Künstlermythos arbeiten.
Wiederum andere Beiträge sind von subtiler Ironie und hintergründigem Sarkasmus
geprägt bzw. überzeichnen die gestellte Aufgabe bildnerisch ins Extreme. Durchweg
alle der eingeladenen Künstlerinnen und Künstler haben Beiträge entwickelt, in
denen sie das gängige Werbeformat zu ästhetischen und inhaltlichen
Höchstformenen bringen.
Die Blickperspektiven reichen von der akribischen Dokumentation des eigenen
Oeuevres über skurrile Fixierungen auf das belanglose Umfeld täglicher Arbeit
bis hin zur ironischen Selbsteinschwörung auf gesellschaftliche Erwartungen.
DAndere Clips wiederum unterstellen sich weniger der eigentlichen Aufgabe,
als sie vielmehr eigenständige künstlerische Miniaturen hervorbringen, deren
formalästhetische Qualität nicht größer sein könnte..
Die gleichermaßen unterhaltsame wie tiefsinnige Ausstellung "Clips" lädt die
Besucherinnen und Besucher ein, über heutige Klischees des Künstlerdaseins,
über Mythologisierung von Arbeit und über das Verhältnis zwischen hochglänzenden
Werbewelten und brutaler Alltagsrealität nachzudenken. Obendrein läßt sich anhand
der über 40 Clips nachvollziehen wie strapazierfähig unser Rezeptionsverhalten ist
und wie lang oder kurz ein gängiges Werbeformat von 20 Sekunden sein kann.
Ob in jedem Fall eine überzeugende Eigenvermarktung der Teilnehmenden
gelungen ist, kann man anhand eines reichhaltigen Angebots von ausliegenden
Katalogen und Mappen selbst ergründen.

 

mit CLIPS von


Jofroi Amaral B
Ulrike Helms D
Justin Sanchez F
Sandra Becker 01 D
Wolfgang Hille D
Martina Schmücker D
Rémi Bragard F
Nataly Hocke D
Ernst Spiessberger A /
Leïla Brett F
intothepill.net GR
Marion Habringer A
Wolfgang Bretter A
Lucie Jaubert F
Thomas Steiner A
Catherine Burki F
Klara Kohler A / Franz Frauenlob A
Herbert Christian Stöger A
Johannes Burr CH /
Emmanuel Lacoste F
Vassiliea Stylianidou GR
Aljoscha Begrich D
Eirini Linardaki GR / Vincent Parisot F
Cedric Torne F
Mathieu Dagorn F
Sabine Linse D / Alexander Laudenberg D
Fred Trialon F
Gilles Desplanques F
Andrea Loux CH
Barbara Ueber D
Marcell Esterhazy H
Elsa Martini ALB / Suela Qoshja ALB
Nicole Wendel D
Anna Faroqhi D
Monsieur Moo F
Norbert Wiesneth D
Sandra Ferreri F
Lydia Möst D
Petra Wimmer A /
Roland Fuhrmann D
Sabine Reinfeld D
Margit Greinöcker A
Jörn Gerstenberg D
Arnold Reinthaler A
René Wirths D
Fred Gobert B
Remi Rivoire F
Z6 Florian Knoppe A /
Pablo Gomez Alvarez COL
Corinna Rosteck D
Robert Hinterleitner A
Marie Grégoire F

http://www.clips-ausstellung.de

Idee und Realisierung : Barbara Ueber, Herbert Christian Stöger, Mathieu Dagorn

 

Baden Sie doch Ihre Hände drin!
In der Ausstellung "Clips" bekommen Künstler 20 Sekunden für die Selbstvermarktung

- mehr gibt's halt nicht in der Werbung
VON TIM ACKERMANN


Kunst machen ist sexy. Auf jeden Fall sexier als Biochemie, findet Mathieu Dagorn.
Der Franzose hat seinen Beruf als Laborassistent aufgegeben, die Gumminöppel
seiner Mikropipetten abgeschraubt und sie in Skulpturen verarbeitet. Jetzt ist Dagorn
offiziell Künstler. Einer unter vielen. Und genau das ist sein Problem: die vielen anderen.
15 Minuten Ruhm wollte Andy Warhol noch jedem Menschen zubilligen. Heute ist der
Konkurrenzdruck größer und die Ressource Zeit knapper. Die kleinste zu vergebende
Einheit Ruhm liegt ungefähr bei 20 Sekunden. Das reicht, um im Fernsehen für
Nougatcreme oder Tütensuppe zu werben. Und mehr Zeit haben Dagorn und 54
weitere Künstler auch nicht bekommen, um mit selbst gedrehten Filmchen in der
Galerie Nord die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen. Ob sie die Mechanismen
des Kunstmarktes beklagen oder kräftig in die Eigenvermarktung investieren - sie
haben dafür alle exakt dieselbe Zeit: 20 Sekunden. Die Künstlerexistenzen schnurren
zusammen zum Werbeclip.
"Clips" heißt denn auch, naheliegend, die Ausstellung, in der sich, ebenfalls naheliegend,
die Strategien der Produktwerbung spiegeln. Der Künstler Jörg Gerstenberg etwa lässt
seine Qualitäten durch einen Vertrauen weckenden Uniformträger anpreisen.
Motto: "Jörg Gerstenberg - da lass ick mein Jeld." Das erinnert ein wenig an die so
authentischen Hausfrauen-Expertinnen, die früher im Fernsehen so schön das
händepflegende Geschirrspülmittel umwarben. Bloß: Sollte die Kunst nicht eigentlich
über solch profane Beutelschneiderei erhaben sein?
"Wenn Künstler für sich selber werben, hat das im Bewusstsein der Öffentlichkeit
meist etwas Anrüchiges", sagt auch Barbara Ueber. Dabei ist für die Kreativen das
Klinkenputzen bei Galeristen und Sammlern fester Bestandteil des Arbeitsalltags.
Die Idee für die Promotion-Schau hat Ueber gemeinsam mit ihrem Künstlerkollegen
Herbert Christian Stöger entwickelt. Eigenwerbung mal ultratransparent. Wenn ein
Besucher einen Clip besonders mag, findet er auf einem Tisch in der Ausstellung
den zum Künstler gehörigen Katalog. "Wir sagen klipp und klar, dass wir uns anbieten",
so Ueber. "Aber gleichzeitig erheben wir mit den Filmen das Bewerben zur Kunstform."
So mancher Clip setzt auf ausgeleierte Slogans: "Kontemplation und Spontaneität",
"Disziplin und Können". Schöner und schräger werben da Petra Wimmer und Margit
Greinöcker für "natürliche Frische in der Kunst". Die beiden Österreicherinnen
bekraxeln im Dirdl eine selbstgebaute Alpenkulisse und steigen über Leitern in die
Fenster von Sennerhütten ein - Geierwally meets poppige Minzdrops. Wimmers
und Greinöckers vortrefflich vermarkteter Ösi-Ethno-Kitsch wird in seiner visuellen
Brachialität nur noch von Justin Sanchez getoppt. Der ziemlich fette Franzose räkelt
sich in BH und superknappem Slip auf einem Motorrad, wie das Beste aller 0190-Girls,
wobei er die Porno-Posen genüsslich ins Groteske verdreht. Nicht jeder Künstler wagt
es, sich so forsch und trotzdem gekonnt als Medienhure anzubieten.
Trotz aller Liebeserklärungen an die manipulativen Methoden von Vorabend- und
Late-Night-Fernsehen - "Clips" ist keine seichte Konsumenten-Berieselung. In
MTV-Geschwindigkeit jagt ein absurder Trailer den nächsten. Es ist schwierig, da den
Überblick zu behalten: Wer war das noch mal, der diesen rollenden Projektraum im
Eisenbahnwaggon anbietet? 20 Sekunden reichen selten, um einen Namen dauerhaft
ins Gedächtnis zu meißeln. Das unterscheidet einen unbekannten Künstler dann eben
doch von einer gut am Markt eingeführten Turnschuhmarke.
Kein Wunder, dass da so mancher Kreative von Selbstzweifeln geplagt wird. Das
Leben des Künstlers - auch das zeigen die Clips - ist schnell ein Leben am Rande
des Nervenzusammenbruchs. Mathieu Dagorn etwa formt eine Skulptur aus
Laborhandschuhen und zermartert sich dabei das Hirn, ob Bildhauer immer dreckige
Fingernägel haben müssen. Ulrike Helms, die in ihrem 20-Sekünder immer wieder
das Mantra "Ich kann Kunst" aufsagt, scheint der Hysterie sehr nah. Und ebenfalls
unschön ist, was der Franzose Mr. Moo erlebt. Dem krachen ständig Gipsplatten
auf den Schädel.
"Kopf hoch!", möchte man den Künstlern zurufen. Ein bisschen "Positive Thinking"
gehört zur gelungenen Selbstvermarktung. Sonst landet man schnell im
Geschäftsbereich von Herbert Christian Stöger. Der 36-Jährige wirbt in seinem Clip
für eine Einrichtung namens "Künstlerklappe". Dort soll man ungewollte Künstler
loswerden können.


Bis 28. 4., Galerie Nord - Kunstverein Tiergarten, Turmstr. 75, Di.-Sa. 14-19 h
28.3.2007 taz Berlin lokal Kultur 155 Zeilen, TIM ACKERMANN S. 25
Rezension

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